Wie bekomme ich mein Kind (NICHT) dazu etwas zu machen?
Lange vor Unerzogen: Eine Geschichte aus der Vergangenheit
„Bahn!! Ich will Bahn fahren!!!“ Schrie mein Sohn eines Tages vor vielen Jahren, als ich ihn vom Kindergarten abholte.
„Nein! Wir fahren Bus – es ist viel direkter und –„
„Nein! Bahn!“ Schrie er wieder und fing an zu weinen. Ich zog an seinem Arm und wir stiegen in den Bus. Es war ziemlich voll. Mir war es unheimlich peinlich, dass ich meinen drei jährigen nicht unter Kontrolle hatte und ich versuchte immer wieder zu erklären, dass der Bus uns direkt nach Hause bringt, aber wir mit der Bahn im Stadtzentrum umsteigen müssten. Er hörte kaum zu. Sein Papa ließ ihn immer zwischen Bus und Bahn entscheiden – er wusste sehr wohl, dass wir hätten Umsteigen müssen.
Ich wollte mir die Umstände nicht machen. Ich wollte, dass er auf mich hört. Ich wollte schnell nach Hause und diese zehn Minuten im Stadtzentrum einsparen. Ich fand sein Wille hatte da nichts zu sagen.
Jemand bot uns einen Sitzplatz an – ein Versuch mir bei meiner unangenehmen Situation zu helfen und mein schreiendes, ungehorsames Kind zufrieden zu stellen. Er wollte nicht sitzen, sondern strampelnd auf dem Boden liegen. „Baaaahhn!!!“ Schrie er wiederholt zwischen Schluchzern. Dann begann er mich zu treten.
Als wir endlich aus dem Bus ausstiegen (und nein, er hörte nicht auf zu brüllen und ich auch nicht zu erröten) schrie ich endlich zurück „Hör sofort auf dich so aufzuführen! Wir sind jetzt da – hör auf zu schreien! Ich kann nicht glauben, was du machst, dein Vater kann dich ab jetzt abholen! So was Blödes! Man!“
Sully stand neben sich und lag weinend auf dem Boden als ich weiter lief. Ich wartete ein paar Schritte weiter und forderte ihn immer wieder dazu auf, aufzustehen und nach Hause zu laufen. Er wollte getragen werden. Ich wollte ihn ganz bestimmt nicht tragen – wieso sollte ich ihn für solch ein trotziges Verhalten belohnen, dachte ich.
Zum Schluss zog ich ihn wieder am Arm und wir schafften es irgendwie die Treppen hoch. Endlich in der Wohnung sagte ich Sullys Papa, er soll was mit ihm machen und mich bitte in Ruhe lassen.
Ja, das ist lange her- Sieben Jahre, um genau zu sein.
Für alle, die Erziehungsmethoden nicht ablehnen, wäre diese Situation relativ gewöhnlich.
Ich dagegen kann kaum daran denken ohne tiefe Trauer zu empfinden. Natürlich hätten wir die Bahn nehmen können – selbst nachdem ich gesagt habe wir nehmen den Bus. Mainstream Erziehung sagt, dass konsequent bleiben dem Kind zur Sicherheit verhilft und du so deinen Respekt erhältst. Ich sage: Blödsinn.
Hätte ich mich umentschieden, weil Bahnfahren ihm so wichtig war (ja selbst wenn er einfach bestimmen wollte, welches Verkehrsmittel wir nehmen), so hätte ich dadurch vermittelt, dass ich zu Anpassung fähig bin und sein Wille mir wichtig ist. Er hätte eine große Lektion in echtem Respekt erleben dürfen und nicht die Art Respekt, die durch Angst vor jemandem entsteht. Ich hätte ihm meine Menschlichkeit gezeigt, anstatt kalte, konsequente Befehle und Strategien.
An Sullys Arm zu ziehen war ganz einfach Gewaltanwendung. Was hätte ich tun sollen, behaupten bestimmt viele Erziehenden, ich musste ja nach Hause, ich musste ihn doch in den Bus schaffen. Nein. Selbst wenn Bahnfahren keine Option gewesen wäre, hätte ich mich zu ihm auf den Boden setzen und warten können, bis er sich beruhigt hat und für Trost und Erklärungen zugänglich gewesen wäre. Ich hätte seine Gefühle bestätigen und zuhören können.
Wie sind seine Tritte einzuordnen? Waren sie Ausdruck gewaltvollen Verhaltens? Ich weiß es gibt viele, die es als solches einordnen. Nachdem Sully am Arm in den Bus gezerrt wurde; nachdem er sich als absolut machtlos erlebt hat, nachdem seine Integrität durch solch übergriffige Art dermaßen verletzt wurde… was soll ein dreijähriger denn machen?! Wie kann er seine Wut und seinen Schmerz verbalisieren – vor allem, da sie gegen mich, seine Mutter, zu der er instinktiv eine sichere Bindung benötigt, um seinen Schutz und sein Überleben zu sichern, gerichtet war? Wie kann ein Kind ohne die kognitiven Fähigkeiten zur Impulskontrolle solche Frustration bei sich behalten oder aushalten? Das war keine Gewalt; das war ein letzter Ausweg, um eine wichtige Mitteilung an jemanden zu kommunizieren, der ihn wiederholt ignoriert und durch Machtmissbrauch überwältigt hat.
Und zu Letzt hätte ich ihn in meine Arme nehmen können, um die durch mein Verhalten entstandene Entfremdung zwischen uns wieder auszugleichen und, um ihm den nötigen Trost zu geben. Das hat rein gar nichts mit Belohnungen zu tun. Kinder sind von ihren Bezugspersonen abhängig, sie sind ängstlich und fühlen sich allein gelassen, wenn diese Verbindung abzureißen droht. Auf diese Weise lernen sie frühzeitig, dass enge Bindungen zu anderen Menschen mit der hohen Wahrscheinlichkeit einhergehen verletzt zu werden und erlebte Situationen werden später nach diesem tief eingeprägten Muster interpretiert nämlich, dass das Gegenüber einen dominieren und bezwingen will; um dieses Gefühl der Ohnmacht zu umgehen werden nicht wenige selbst zu 'Tätern'. Nichts, was ein Kind macht, darf Anlass sein für solch respektloses, liebloses Verhalten.
Jemand der glaubt Kinder würden so etwas wie das Getragen werden nach einem solchen Geschehnis als Belohnung für ihr Verhalten verstehen und, dass dadurch das Verhalten verstärkt wird, geht von völlig überholten und antiquierten Ideen aus, die bereits von Erkenntnissen der kindlichen Psychologie und Ergebnissen aus der Bindungs-Forschung der letzten Jahrzehnte wiederlegt wurden.
Hier habe ich über Liebesentzug geschrieben, und mein Buch enthält auch einiges zu diesem Thema.
Wenn Kinder sich als so mächtig wahrnehmen, dass sie uns in unserem Kern erschüttern und starke Emotionen wie Wut auslösen können, überfordert sie dies in hohem Maße. Diese Art der Verantwortung ist viel zu viel für ein Kind. Wenn es Sicherheit ist, was du deinem Kind ermöglichen willst, wirf das 'Konsequent-Sein' beiseite, halte dich an deine Menschlichkeit und übernimm Verantwortung für dich und die Qualität der Beziehung zu deinem Kind.
Klar, es ist einfacher gesagt als getan. Wir kommen für Gewöhnlich nicht aus friedlichen Elternhäusern, sondern wurden so konditioniert, dass wir denken, wir müssten unsere Kinder unter Kontrolle haben, wütend werden wenn dies oder jenes passiert und gezielt Zuneigung an Bedingungen knüpfen.
Tief durchatmen. Frage dich, wofür du in solchen Situationen kämpfst. Ergründe die Bedürfnisse, die deinem und dem Verhalten deines Kindes zu Grunde liegen. Leg die Maske von Stolz und Starrsinn ab. Liebe dein Kind.
I invite you to take your liberty and join the revolution!