Hilfe mein Kind rennt immer weg!

Verfasst von Justine Holly am .

Die Neugierde der Kinder wird oft als frech wahrgenommen. Wo sie ihre Umgebung erkunden, ihre Wirkung auf sie untersuchen und Reaktionen interpretieren, wollen manche ein Grenzen-Testen und ein berechnendes Verhalten der Kinder erkennen, nach dem Motto „wie weit kann ich es treiben“. Ich habe bereits hier etwas über Grenzen geschrieben und hier findet ihr den Artikel „Hört auf Kinder an Erwachsenenstandards zu messen!“

Kinder benötigen keine von uns abgesteckten Grenzen und Limits. Sie brauchen Platz, um ihre eigene Komfortzonen zu finden – ein einjähriges Kind wird sich an einem unbekannten oder überfüllten Ort kaum weit von uns entfernen, wenn es die Weite kennengelernt hat, während es über eine Wiese gerannt ist oder sich hinter Bäumen versteckt hat. Es wird nach unserer Hand greifen, wenn wir uns dem Bahnhof nähern oder durch die Mengen in der Stadt gehen. Sehr selten kommt es vor, dass ein Kind diese Instinkte nicht besitzt, doch sehr häufig geschieht es, dass Kinder ihren Instinkten den Rücken kehren, weil ihnen nicht das Vertrauen geschenkt wurde diesen zu folgen. Lassen wir Kinder nicht frei rennen, so ermöglichen wir es ihnen nicht, zu lernen bei uns zu bleiben. Wenn wir ihnen sagen, sie könnten nicht…dann glauben sie unseren Worten und können etwas tatsächlich nicht. Das gilt hier auch; einem Kind zu sagen, es könne nicht durch eine Menschenmenge ohne unsere Hand laufen oder an einer Straße warten, bringt es dazu genau diese Erwartungen zu erfüllen: sich aus unserem Griff loszureißen und achtlos wegzurennen.

Kindern das unbegrenzte Rennen an sicheren Orten zu ermöglichen eliminiert nicht ihre Mitwirkung in anderen Situationen; es unterstützt ihre Instinkte, in diesen Situationen nahe bei uns zu bleiben. Dadurch, dass wir es ihnen ermöglichen ihren Willen und ihre Neugierde auszuleben, wird ihr Bedürfnis befriedigt und es besteht somit kein Grund bei diesem einen unerfüllten Bedürfnis zu verweilen - und es eben in jeder nur erdenklichen Situation (und sei sie noch so gefährlich) befriedigen zu wollen.

Vor allem junge Kinder brauchen Raum ihren Impulsen zu folgen und ihren Entdeckerdrang/ihre Entdeckungsfreude auszuleben, denn dahinter verbirgt sich ein aufkeimendes Interesse, das für jedes wirkliche Lernen zur Grundlage wird. (Lese „Die Trotzphase? Nein die Autonomie Phase!“ und „Dann machen sie was sie wollen… Der kindliche Wille“) Wir müssen ihnen den Platz bieten ihre Bedürfnisse zu stillen und ihre Autonomie zu erforschen, damit sie ihre Fähigkeiten verfeinern und ihr Wissen und ihren Erfahrungsschatz erweitern können. Wissen wir eine Situation steht bevor, in der unser Kind unsere Hand halten und sogar auf unsere Anleitung hören muss, so können wir im Vorhinein genug Optionen für autonomes Handeln ermöglichen und so ein zu viel an Fremdbestimmung vorbeugen. Denn natürlich gibt es Situationen die Folgsamkeit erfordern (nicht zu verwechseln mit Gehorsam. Lese „Der Schaden des Gehorsams“).

 

Wenn Kinder bereits eine Tendenz zum Weglaufen entwickelt haben, so müssen wir ihr Bedürfnis befriedigen anstatt sie durch erzieherische Maßnahmen unter Kontrolle halten. JA, manchmal müssen sie unsere Hand halten und das werden sie willentlich tun, wenn sie darauf vertrauen können, dass wir Alles dafür geben, ihre Bedürfnisse zu stillen und sie nicht unnötig einengen. Wenn Eltern Leinen gebrauchen (wobei dies durchaus auch metaphorisch verstanden werden kann), um ihre Kinder zu kontrollieren und zu bezähmen, arbeiten sie gegen die Instinkte ihrer Kinder und fördern fahrlässiges Verhalten anstatt Eigenverantwortung und eine gesunde Wahrnehmung ihrer Komfortzone.

 

Impulskontrolle entwickelt sich während der gesamten Kindheit und unterscheidet sich von Kind zu Kind; das bedeutet wir können nicht per se erwarten, dass Kinder ihre Impulse im Griff haben, selbst wenn gewisse Gewohnheiten wie das Warten an der Straße etabliert sind. Wir müssen eng mit unseren Kindern in Verbindung stehen, damit wir ihre Schritte vorhersehen und sie an ihre Sicherheit erinnern können. Sagen wir „gehe langsam; nicht rennen“ im Schwimmbad, wenn sie auf dem Weg zur Rutsche sind, muss es nicht mit „wie oft habe ich dir das schon gesagt“ ergänzt werden. Die Erinnerung ist unsere elterliche Begleitung; Kinder müssen nicht ausgeschimpft werden oder das Gefühl bekommen, sie hätten sich daneben benommen. Autonomie zu gewähren heißt nicht, dass wir unsere Kinder nicht unterstützen und begleiten oder gar unsere Fürsorgepflicht verletzen, ganz im Gegenteil!

 

Wenn wir mit unseren Kindern in Beziehung treten, erkennen wir ihre Fähigkeiten, ihre Interessen und den Stand ihrer einzigartigen Entwicklung. Wir wissen wo wir ihnen vertrauen können und wo sie enge Begleitung brauchen. Jedes Kind entwickelt sich anders; obwohl es Phasen und Stadien gibt, wo gewisse Fähigkeiten erlernt werden, weiß ich als Mutter wo Vertrauen angebracht ist und wo Anleitung und Schutz vonnöten sind. Wie wir uns in vertrauter Umgebung verhalten und anleiten ist auch anders als in ungewohnter Umgebung. Es kann keine Schablone für jede Situation geben. Verbindung, Begleitung und Kommunikation müssen gegeben sein, um Vertrauen zu ermöglichen: wir müssen darauf vertrauen können, dass unsere Kinder auf uns hören. Das werden sie nicht tun, wenn wir sie ständig einschränken und ihren Willen und ihre Bedürfnisse außer Acht lassen.

 

Im Alter von zwei Jahren hatte mein Sohn sich angewöhnt an Straßen zu warten, dennoch war ich stets in Verbindung mit ihm, um ihn daran zu erinnern, sollte er abgelenkt wirken. Wir waren ein eingespieltes Team: er hielt mit seinem Laufrad einem Meter vor der Straße an, ich kam hinzu, hielt ihn an der Kapuze während ich schaute ob alles frei war, hielt ihn locker beim Überqueren und gab ihn einen Schubs wenn wir fast rüber waren. War er nicht mit dem Laufrad unterwegs wartete er, ich kam zu ihm und sagte „ok!“ und er ging (oder rannte) rüber. Eines Tages waren wir mit jemandem unterwegs, der unsere Gewohnheit nicht verstand oder ihnen nicht vertraute. Marley wartete an der Straße, aber dieser Mensch bestand darauf seine Hand zu nehmen und ignorierte dabei seine Bemühungen loszukommen und seine Worte, die erklärten, er wisse was er mache und bräuchte keine Hand.

 

Marley riss sich aus dem Griff los und wurde dabei auf die Straße getrieben, da der Mensch immer wieder versuchte ihn zu schnappen (es war eine kleine Straße, die in dem Moment nicht befahren war, also war ich nicht alarmiert). Ich rief dieser Person zu, sie solle sofort aufhören, was auch geschah. Als ich sie eingeholt hatte, erklärte ich, Marley habe doch gewartet und, dass keine Gefahr bestanden hätte bis es zu dem erzwungenen Händehalten kam.

 

Wenn wir - und sei es aus Angst - unsere Kinder zu bezwingen versuchen anstatt alleine auf ihren Schutz bedacht zu sein, wird alles was wir sagen verworfen und sich allem was wir versuchen widersetzt werden. Begegnen wir einem Menschen mit Zwang, so lässt dies keinen Raum für die Autonomie, keine Wahlmöglichkeit, Kommunikation oder gar Kooperation zu.

 

Auch in einer Situation in der unsere Kinder trotzen und nicht auf unsere Anleitung hören mögen, bringt das Bezwingen und das Kontrollieren kein positives Ergebnis. Lauf-Spiele machen aus jedem langweiligen Spaziergang ein Vergnügung. Hände halten, ein paar Schritte rennen, dann plötzlich stehen bleiben; sich ab und an im Kreis drehen, mini-kleine Schritte machen und einfach Spaß am Spiel haben, verbindet uns und löst jede Opposition auf. Marley liebte es um mich herum zu laufen, wenn wir auf die Bahn gewartet haben – ich musste seine Hand hinter meinem Rücken und vorne in meine andere Hand geben, während er lief. Das machte großen Spaß. Wenn er in der Stadt laufen wollte, machte ich ebenfalls ein Spiel draus und gab ihm bestimmte Stellen vor, wohin er laufen sollte. Dort wartete er dann, grinsend. Oder ich lief mit ihm, war mir die Umgebung zu unsicher. Unserer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt!

 

Manche Kinder folgen ihren Impulsen regelrecht aus dem Supermarkt hinaus. Wenn wir wissen, dass unsere Kinder einen Hang dazu haben, so müssen wir ihre Aufmerksamkeit und ihre Neugierde ergreifen, ihnen Aufgaben geben, es ihnen ermöglichen bei dem was wir tun mitzumachen und die Unternehmung auch für sie lohnenswert machen. Sie werden Freude daran haben ihre Fähigkeiten zu entdecken, unsere Fragen zu beantworten, uns zuzuhören während wir Dinge erklären und auch daran, an den Früchten, die wir ihnen hinreichen zu riechen.

 

Ich wurde gefragt was mein Geheimnis ist, während ich mit meinem Sohn einkaufen war. Er schob den Kindereinkaufswagen wie er wollte, legte Produkte hinein, folgte mir manchmal auf Schritt und Tritt und ging auch alleine drauf los. Er hatte auch eine kurze Phase, in der er zur Kasse ging und seine Sachen auf das Band legte. Ich antwortete, „ich habe keine Geheimnis – wir gehen halt zusammen einkaufen…naja, er macht was er will!“

 

Und das ist ein wichtiger Punkt: Kinder sind berechtigt zu tun was sie wollen…unsere Haltung bestimmt ob sie auch wollen was sie tun! Diese Haltung bringt nicht Kinder hervor, die wegrennen ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, alles nehmen was sie bekommen können oder nur testen womit sie durchkommen können, sondern sie erlaubt Gleichwertigkeit, was den Willen, die Bedürfnisse und die Autonomie betrifft. Sie befriedigt Bedürfnisse spielerisch. Wenn wir sie einengen kreieren wir Opposition statt Verbundenheit; wir würden dann bezwingen und nicht kommunizieren. So aber leben wir in Partnerschaft, die uns allen Freude und Zufriedenheit verschafft.

 

 

Tipps, um mit euren Lauflingen in Verbindung zu bleiben:

 



 

I invite you to take your liberty and join the revolution!

 



 

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